Am Rande des Periodensystems

Dieser Text entstand im Rahmen des Seminars "Journalismus für Naturwissenschaftler"

Mainzer Forscher untersuchen die schwersten Elemente

Bei der Untersuchung der Chemie der schwersten Elemente geht es im wahrsten Sinne des Wortes um das, "was die Welt im innersten zusammenhält". Nämlich die Frage: ist unser Verständnis vom Aufbau der Atome ausreichend, um chemische Eigenschaften noch unbekannter Elemente vorherzusagen? Physik und Chemie arbeiten eng zusammen, um der Natur aus einer Handvoll Atome Informationen darüber abzuringen.

Das Periodensystem: Unendliche Weiten...

Das Periodensystem ist gewissermaßen das Grundgesetz der Chemie. Obwohl es bereits im 19.Jahrhundert entwickelt wurde, spiegelt es quantenmechanische Prinzipien wieder. Der Kern eines Atoms ist umgeben von "Schalen", die jeweils nur eine bestimmte Anzahl von Elektronen enthalten können. Ist eine Schale gefüllt, wird die nächste begonnen. Für die chemischen Eigenschaften sind im wesentlichen die Anzahl der Elektronen in der äußeren Schale bestimmend. Elemente mit der gleichen Anzahl "Außenelektronen" ähneln sich daher. Im Periodensystem werden sie in einer Gruppe untereinander geschrieben. Beispielsweise haben alle Edelgase eine abgeschlossene äußere Schale und sind deswegen reaktionsträge.

Prinzipiell ist die Anzahl der möglichen chemischen Elemente unbeschränkt: Es gibt keine quantenmechanische Regel, die eine maximale Zahl von Elektronen festlegt, die einen Atomkern umgeben können. Daß es in der Realität trotzdem nicht beliebig viele Elemente gibt, liegt daran, daß massereiche Atomkerne zunehmend instabil sind. Uran ist das schwerste Element, daß noch in nennenswerter Menge in der Erdkruste enthalten ist. Noch schwerere Elemente sind seit Entstehung der Erde längst zerfallen. Dennoch sind bisher zwanzig weitere Elemente bekannt, die teilweise in Kernreaktoren oder bei Atomexplosionen enstehen oder aber an Beschleunigern wie dem UNILAC der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt erzeugt werden können.

Die Grenze zur Terra incognita

Die Kernphysik bildet die Grundlage für die Erzeugung der neuen Elemente. An der GSI wurden immerhin die letzen sechs bekannten Elemente mit den Nummern 107 bis 112 zuerst nachgewiesen, und im Frühjahr begibt man sich auf die Jagd nach den Elementen 113 und 114. Die Technik ist im Prinzip simpel: Leichtere Atomkerne werden auf schwerere geschossen und verschmelzen. Leider passiert es nicht allzu oft, daß sich dabei wirklich ein Kern eines neuen Elementes bildet, und wenn, dann zerplatzt ein Großteil der entstandenen Kerne wieder, weil das die einfachste Möglichkeit ist, die Energie, die zur Verschmelzung benötigt wird, wieder loszuwerden. Diese Tendenz zur prompten Spaltung nimmt zu, je schwerer das gebildete Element ist. Übrig bleiben bei Element 104, Rutherfordium, einige Atome pro Stunde Beschleunigerbetrieb, beim (noch unbenannten) Element 112 etwa eines pro Woche.

Damit nicht genug: Nun gilt es, genau dieses Atom herauszufiltern und nachzuweisen. Hier hilft immerhin, was man unbedarft für ein Ärgernis halten könnte: Da keines der schweren Elemente stabil ist, zerfallen die Atome radioaktiv. Der Zerfall ist spezifisch für das Element. So (und nur so) reicht ein einzelnes Atom tatsächlich für einen Nachweis. Hat man das geschafft, spricht man im Fachjargon nicht ganz ohne Stolz von einem "Ereignis".

Was finden Chemiker daran überhaupt interessant?

Ist man sich bis hierher in Chemie und Physik einig, trennen sich nun die Wege: Die Physiker sind damit zufrieden, mit einer trickreichen Anordnung von Magneten ganz speziell Atome des gesuchten Elements in einen Detektor zu schießen. Dort bleiben sie hängen und zerfallen auf charakteristische Art und Weise. Die einzige auf diese Weise meßbare Eigenschaft ist eben dieser Zerfall. Die Physiker sind's damit zufrieden: Mehr braucht es nicht zur Entdeckung eines neuen Elements.

Die Chemiker dagegen interessieren sich für ganz andere Dinge, zum Beispiel: Bildet Rutherfordium Verbindungen mit Chlor? Wenn ja, welche könnten da sein? Und vor allem: Sind es ähnliche Verbindungen, wie Titan, Zirkon und Hafnium, die anderen Elemente der gleichen Gruppe sie bilden? Das steht durchaus zur Disposition. Denn während die Väter des Periodensystems extrapolieren konnten, um Vorhersagen über damals noch unentdeckte (leichtere) Elemente wie etwa die Edelgase zu treffen, stellen sich bei den schweren Elementen ganz andere Fragen. Das Periodensystem scheint nämlich, glaubt man den Quantentheoretikern, bei den schweren Elementen geradezu zu zerfließen. Der Grund dafür liegt in der hohen Zahl der Elektronen, die den Kern umgeben. Sie werden immer stärker zusammengedrängt; wie bei einer Feder erhöht sich dadurch die enthaltene Energie. Das bedeutet gemäß der meiststrapazierten Formel der Welt, e=m c2 , daß auch die Masse der Elektronen zunimmt, weswegen sie sich ganz anders verhalten als ihre Kollegen in den leichteren Atomen. Dieser "relativistische Effekt" tritt bereits beim Gold in schwacher Form auf, das eben deswegen als einziges Metall gelblich gefärbt ist. Es wird angenommen, daß spätestens bei Element 112 der Effekt so groß ist, daß es sich eher wie ein Edelgas verhalten wird, obwohl es seinen Platz nicht wie diese in der 18. Gruppe des Periodensystems hat, sondern in der 10.

Um Aussagen über chemische Eigenschaften machen zu können, geht die Gruppe des Mainzer Kernchemie-Instituts wie folgt vor: Die entstandenen Atome der schweren Elemente werden in einem Strom aus Helium und mikroskopischen Salzteilchen ("Clustern") aus dem Beschleunigerbereich hinaus in ein Laboratorium gespült und dort in einer Apparatur abgeschieden. Nun kann man sie etwa in Salzsäure auflösen. Über die Verbindungen, die dabei gebildet werden, kann man Aussagen treffen, indem man sie etwa über Anionenaustauscher fließen läßt, also Stoffe, die negativ geladene Teilchen zurückhalten. Anschließend werden die Lösungen auf kleinen Tellerchen wieder eingetrocknet, um den Zerfall des untersuchten Elements zu messen. Ein Atom kann also nur dann nachgewiesen werden, wenn es bestimmte chemische Eigenschaften besitzt.

Dieser ganze Vorgang ist soweit wie möglich automatisiert und dauert gut zwei Minuten -eine Zeit, in der immerhin 80 % der ursprünglichen Atome bereits wieder zerfallen sind. Dazu kommen weitere Verluste im Verlauf der Prozedur, so daß nur ein Bruchteil der erzeugten Atome am Ende tatsächlich gemessen werden können. Nur in einem von etwa 50 solcher Einzelexperimente findet ein "Ereignis" statt. Das erklärt, warum die Chemiker viel höhere Erzeugungsraten als die Physiker benötigen und folglich mit ihren Untersuchungen erst bei Element 106 angelangt sind. Dennoch gilt auch für die Chemie, daß prinzipiell ein einziges Atom ausreicht, um chemische Aussagen zu treffen.


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Updated Juni 1998 by Erik Strub.